Toespraak Rutte op de CSU-Klausurtagung
Toespraak van minister-president Rutte op de CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth, 6 januari 2012.
Frau Hasselfeldt, Herr Ministerpräsident Seehofer, meine Damen und Herren!
Es gibt eine historische Verbindung zwischen Bayern und Holland. Frau Hasselfeldt, Sie kommen aus Straubing. Von 1350 bis 1425 hat es ein Herzogtum Bayern-Straubing-Holland gegeben. Die Wittelsbacher waren damals auch Herr im Westen der Niederlande, und ihre weiß-blauen Rauten kann man dort noch immer in Wappen finden. Es ist gut, wieder in Bayern zu sein.
Auf den ersten Blick mag es etwas ungewöhnlich erscheinen, dass der liberale Regierungschef eines befreundeten Nachbarlandes auf der Rednerliste einer Tagung deutscher Christdemokraten steht. Dennoch brauchte ich nicht lange zu überlegen und habe die Einladung für heute gern angenommen. Denn in gewissem Sinne leben wir auch in ungewöhnlichen Zeiten. Die aktuelle Diskussion über die Zukunft des Euros greift über Landesgrenzen und Parteiinteressen hinaus. Das Thema berührt direkt den Wohlstand unserer Bürger. Ihre Arbeitsplätze, ihre Renten und Sparguthaben. Darum ist es wichtiger denn je, dass zwei Länder, die so viel miteinander gemein haben wie Deutschland und die Niederlande, versuchen, in Brüssel an einem Strang zu ziehen. Das hat mit Parteipolitik wenig zu tun.
Jean Monnet schrieb in seinen Memoiren, dass Europa an seinen Krisen wächst. Ich glaube, dass er damit recht hatte. Aus seinen Worten sprach die typische Leidenschaft jener Pioniere Europas, die mit der ersten zaghaften Zusammenarbeit auf dem Gebiet von Kohle und Stahl faktisch mit der Verwirklichung des Ideals von dauerhaftem Frieden in Europa begannen. Denn in den ersten Jahrzehnten diente die Zusammenarbeit diesem hehren Ziel. Sie wurde getrieben von derselben Überzeugungskraft, die wir vor gut zwanzig Jahren auch bei einem Mann wie Helmut Kohl erlebten, als die deutsche Geschichte große Taten verlangte. Dieselbe Überzeugungskraft auch, die es nach dem Fall der Mauer brauchte, um die Voraussetzungen für die größte Erweiterung in der Geschichte der Europäischen Union zu schaffen. Heute sind wir gefordert, ähnlichen Mut und Einsatz zu zeigen. Denn die Schuldenkrise, mit der wir zurzeit in der Eurozone konfrontiert sind, macht Reformen notwendig, die die EU in eine nächste Phase führen. Reformen, mit denen wir die Webfehler der Währungsgemeinschaft korrigieren und die den Weg ebnen sollen für jene Stabilitätsunion, die wir alle wollen. Inzwischen sind wir längst auf diesem Weg, und der Gipfel vom 8. und 9. Dezember war der vorläufig letzte Meilenstein.
Ich sage bewusst "vorläufig", denn ich stimme voll und ganz mit Angela Merkel darin überein, dass wir diese Krise nicht mit einem Paukenschlag lösen können. Wunder gibt es leider nur im Märchen. In der aktuellen Situation hilft nur eins: wir müssen hart daran arbeiten, das Vertrauen der Finanzmärkte in den Euro Schritt für Schritt wiederherzustellen.
Dabei kann eine Portion Leidenschaft und Idealismus sicher nicht schaden. Aber was Europa nach meiner festen Überzeugung jetzt vor allem braucht, ist eine neue Form des Realismus. Ein Realismus, der mindestens zwei Dimensionen hat. Die erste Dimension steht im Zeichen von Haushaltsdisziplin, Einhaltung vereinbarter Regeln und Durchführung notwendiger Reformen. Die zweite Dimension bezieht sich auf die heutige und künftige Rolle der Europäischen Union als solcher. Denn jenseits der aktuellen Krise stellt sich die Frage, wie die EU in Zukunft optimal zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand beitragen kann. Diesem Ziel muss Europa in unserer Zeit dienen. Die beiden Themen hängen natürlich eng miteinander zusammen, aber am Anfang steht die Haushaltsdisziplin.
Wenn man einmal das große Ganze betrachtet, sieht man, dass die heutigen Probleme mit einer falschen Erwartung begonnen haben. Die implizite Prämisse der Euroeinführung war nämlich, dass die Volkswirtschaften der Währungsunion gleichsam von selbst konvergieren würden. Zehn Jahre danach müssen wir schmerzlich erkennen, dass sich diese Erwartung nicht erfüllt hat. Schlimmer noch, die Länder, die sich nicht an die Regeln gehalten haben, konnten dies umso leichter tun, als die Mitgliedschaft von Triple-A-Ländern wie Deutschland und Holland in der Währungsunion dafür sorgte, dass die Zinsen für alle Euroländer niedrig blieben. Die Folge: Notwendige Strukturreformen in den schwächeren Euroländern wurden vertagt, und Länder wie Griechenland, Portugal und Italien bauten riesige Schuldenberge auf. Und auch in diesem Punkt stimme ich Angela Merkel uneingeschränkt zu: Jetzt Eurobonds einzuführen würde nur bedeuten, falsches Verhalten zu belohnen. Damit würden wir im Grunde denselben Fehler noch einmal machen.
Die großen Probleme, die sich im vergangenen Jahr in der Eurozone eingestellt haben, wurden also durch einen Mangel an Haushaltsdisziplin in einigen Ländern verursacht. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns auch eingestehen, dass nicht rechtzeitig eingegriffen wurde. Auch das gehört zu dem Realismus, von dem ich sprach. In den letzten Monaten ist es schon vielfach gesagt worden: Die Regeln, die seinerzeit im Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbart worden sind, waren in Ordnung.
Ein Haushaltsdefizit von höchstens 3 Prozent und eine Staatsverschuldung, die nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen darf - das waren ganz klare Vorgaben. Aber in der Praxis wurden grobe Fehler gemacht. Einige Euroländer hielten sich von Anfang an nicht an die vereinbarten Regeln, andere ließen es ihnen durchgehen, und jetzt müssen wir gemeinsam die Folgen tragen und die Probleme lösen. Es wurde schlicht zu oft gekungelt in Momenten, wo Sanktionen fällig gewesen wären. Und das ist Lektion eins dieser Krise: So etwas dürfen wir nicht wieder geschehen lassen.
Deshalb hat die niederländische Regierung schon früh auf eine Änderung des Systems gedrängt. Eine Änderung, die beinhaltet, dass ein Verstoß gegen die Regeln in Zukunft quasi automatisch Sanktionen nach sich zieht. Dafür haben wir uns gemeinsam mit der Bundesregierung und mit einigen anderen Ländern, die traditionell eine solide Haushaltspolitik betreiben, eingesetzt. Mit Erfolg. Der bekannte "Sixpack", der jetzt in Kraft getreten ist, war ein erster wichtiger Schritt. Und mit dem neuen Vertrag über strenge Haushaltsregeln, auf den wir uns am 8. und 9. Dezember verständigt haben, ist eine Wiederholung der aktuellen Probleme ein für allemal so gut wie ausgeschlossen. Damit können wir zufrieden sein. Zusammen mit der beschleunigten Einführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und den vielen hundert Milliarden Euro, die jetzt für Kreditbürgschaften zur Verfügung stehen, sollte es uns gelingen, das nötige Vertrauen zurückzugewinnen.
Ich sage allerdings sofort dazu, dass finanzielle Disziplin allein nicht ausreicht. Sie ist nur der Anfang und Grundvoraussetzung für eine Besserung der Lage. Alle betroffenen Länder - das eine etwas mehr als das andere - werden auch Strukturreformen durchführen müssen, um ihre Wirtschaft fit zu machen für das 21. Jahrhundert. So, wie Deutschland und die Niederlande es tun, indem sie das Renteneintrittsalter erhöhen, die Zahl der Transferleistungen durch eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik senken und die Regulierungsdichte für Unternehmen reduzieren. Das können wir auch von anderen Ländern erwarten. Denn, ich will es ganz deutlich sagen: Es ist unseren Bürgern, unseren Wählern, nicht vermittelbar, dass sie über ihr 65. Lebensjahr hinaus arbeiten müssen, wenn gleichzeitig hochverschuldete Länder, die Hilfe erhalten, sich weigern sollten, ähnliche Maßnahmen zu treffen.
Wenn ich es richtig sehe, ist diese Botschaft angekommen. In Italien, wo Ministerpräsident Monti sehr beherzt weitere Einsparungen in Höhe von 30 Milliarden Euro angekündigt hat. In Irland und Portugal, wo die bittere Haushaltsmedizin allmählich zu wirken scheint. Aber ich denke auch an die mutige Rede, in der Präsident Sarkozy vor einigen Wochen seine Landsleute etwa auf die Anhebung des Renteneintrittsalters eingestimmt hat, an der auch die Franzosen nicht vorbeikommen. Dies alles sind Signale, die zeigen, dass man inzwischen überall die Dringlichkeit der notwendigen Veränderungen erkannt hat. Aber es sind nur die ersten Schritte. Viele weitere werden folgen müssen. Denn, nochmals, die Probleme werden sich nicht mit einem großen Paukenschlag lösen lassen.
Und damit komme ich zur zweiten Dimension des Realismus: der heutigen und künftigen Rolle Europas. Auch dazu möchte ich gern noch ein paar Worte sagen, bevor wir miteinander ins Gespräch kommen. Denn ich habe großes Verständnis für das Widerstreben all derer, die sich fragen, warum wir eigentlich mit notorischen Haushaltssündern wie Griechenland solidarisch sein sollen. Glauben Sie mir, auch ich fühle dieses Widerstreben. Aber Tatsache ist, dass die europäische Einigung uns außer Frieden auch Wohlstand gebracht hat. Und das gilt in besonderem Maße für Exportländer wie Deutschland und Holland.
Ich weise die Euroskeptiker in meinem Land immer darauf hin, dass jeder einzelne Niederländer dank des Binnenmarkts jedes Jahr im Schnitt 2000 Euro mehr in der Tasche hat - für viele ein ganzes Monatsgehalt. Und nach Berechnungen von Experten ist da noch viel Luft nach oben. Das bedeutet, dass wir alles, was wir heute tun, um die Probleme zu lösen, vor allem auch für uns selbst tun und für die Zukunft der jungen Menschen in unseren Ländern. Dazu passt kein blindes, grenzenloses Vertrauen. Und daher auch die strengen Regeln, die wir am 8. und 9. Dezember vereinbart haben. Wer Hilfe benötigt, wird sich entsprechend verhalten müssen, wird sich einschränken und notwendige Reformen durchführen müssen.
Mein Fazit ist, dass die EU alles daransetzen muss, nach dem S von Stabilität nun auch das W von Wachstum sicherzustellen. Wir müssen alles aufbieten, um Innovation und Unternehmertum zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen. Die EU kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten - zusätzlich zu den Anstrengungen der einzelnen Mitgliedstaaten. Die Schritte, die jetzt endlich unternommen werden, um ein einheitliches Gemeinschaftspatent zu realisieren, sind dafür ein gutes Beispiel. Aber es gibt auch noch viel ungenutztes Potential, wenn wir uns etwa den Binnenmarkt für Dienstleistungen anschauen. Es ist höchste Zeit, dass wir dafür sorgen, dass die Dienstleistungsrichtlinie von 2009 in allen Ländern umgesetzt wird. Ein anderes Beispiel ist die notwendige Modernisierung des Urheberrechts, das dringend an die Erfordernisse des digitalen Zeitalters angepasst werden muss. Und auch für die EU selbst gilt, dass weniger Regeln und einfachere Verfahren dabei helfen, die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln zu verbessern. Ich glaube, dass hier - in der Förderung von Wachstum und Wohlstand - die Kernaufgabe des Europas liegt, das wir heute brauchen. Und nach dem Gipfel vom Dezember sage ich ausdrücklich dazu, dass ich nicht vom Europa der 17 Euroländer spreche, sondern von allen 27 Mitgliedstaaten, die gemeinsam den Binnenmarkt bilden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich meinen Beitrag zum Anstoß der Diskussion noch einmal kurz zusammenfassen: Übertriebener Europa-Idealismus bringt uns nicht weiter. Ebensowenig wie rigoroser Euroskeptizismus. Stattdessen setze ich - und setzt die niederländische Regierung - auf Realismus. Auf Klarheit und auf die notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Stabilität in der Eurozone. Mit der gebotenen Strenge und ohne Ansehen des Staates, den es betrifft. Wir setzen auf eine europäische Zusammenarbeit, die sichtbar und konkret zum Wohlstand aller Einwohner der EU beiträgt. Und ich möchte dem an dieser Stelle noch hinzufügen, dass ich hoffe, dass sich unsere Länder auf dem Weg zu diesem Ziel weiterhin gegenseitig unterstützen, denn die Niederlande wissen die intensive und freundschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland außerordentlich zu schätzen. Das wollte ich bei dieser Gelegenheit einmal gesagt haben.
Und mit dieser Anmerkung möchte ich schließen. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Sicht des heutigen und künftigen Europas und der Rolle unserer Länder darin.
Ich danke Ihnen.